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Die Europäische Gemeinschaft auf dem Weg zur Verbandsklage

- Arbeitspapier der GD Umwelt über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten -  

In Deutschland ist mit viel öffentlichem Wirbel gerade landesweit eine Verbandsklage eingeführt worden, mit der die Naturschutzbelange in Planfeststellungsverfahren und bei Befreiungen von Naturschutzgebiets-Verordnungen einklagbar werden. Während dessen wird in der Europäischen Kommission eine Regelung zur Verbandsklage vorbereitet, die erheblich weiter greift und die Vorgaben der Aarhus-Konvention ernsthaft umsetzt. Von den drei Säulen dieser Konvention  sind die beiden Teile "Zugang zu Umweltinformationen" und "Verfahrensbeteiligung" auf der EG-Ebene weitgehend abgearbeitet. Die Normsetzungsverfahren zur Anpassung der Richtlinien über Umweltinformationen und über die Umweltverträglichkeitsprüfung sind abgeschlossen.  

Jetzt wendet sich die Generaldirektion Umwelt der "härtesten Nuss" bei der Umsetzung der Aarhus-Konvention zu: dem Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten. Ein Arbeitsdokument vom 11.4.2002 zu diesem Thema, das zunächst einer offenen und öffentlichen Diskussion dient, steht unter der Internet-Adresse http://www.europa.eu.int/comm/environment/aarhus/index.htm auch in deutscher Sprache bereit. Das Dokument gibt ausdrücklich nicht die abgestimmte Meinung der Kommission wieder. In dem Dokument wird zum einen die Befugnis der EG dargelegt, auch Querschnittsmaterien des Umweltrechts zu regeln. Beispiele hierfür lägen mit der UVP-Richtlinie und der Richtlinie über Umweltinformationen bereits vor. Im nächsten Schritt wird dargelegt, dass auch das Subsidiaritätsprinzip einer solchen Regelung - die vor allem auf die bessere Umsetzung des materiellen Umweltrechts zielt - nicht entgegen stehe. Denn die erheblichen Defizite bei der bisherigen Rechtsumsetzung durch die Mitgliedstaaten seien bekannt und durch eine Reihe von Untersuchungen belegt.  

Ähnlich couragiert wie bei der Begründung der Regelungskompetenz geht das Arbeitsdokument auch die inhaltliche Ausgestaltung an: Gegenstand der vorgesehenen "Überprüfungsverfahren", d.h. gerichtlicher oder gerichtsähnlicher Verfahren in den Mitgliedstaaten, sollen Verwaltungsakte und Unterlassungen von Verwaltungsbehörden in Umweltangelegenheiten sein. Die Klagemöglichkeit soll sich umfassend darauf richten, einen Verstoß gegen umweltbezogene Rechtsbestimmungen anzugreifen. Entsprechend dem bisherigen deutschen System ist der Adressat von Forderungen eines Kläger primär die nationale Verwaltung und zwar auch dann, wenn der Rechtsverstoß von einem Privatunternehmen begangen wird. Dies schafft der zuständigen Aufsichtsbehörde die Möglichkeit, eigene Schritte zur Abhilfe zu unternehmen und verhindert, dass die Staatsaufsicht durch direkte Auseinandersetzungen zwischen Privaten an den Rand gedrängt wird. Die Behörde soll zunächst zum Tätigwerden aufgefordert werden; geschieht dies nicht oder aus Sicht des Klageberechtigten nicht ausreichend, so ist sie Adressat der Klage.

Der Kreis der Klageberechtigten soll zunächst die "betroffene Öffentlichkeit" umfassen; diese dürfte weitgehend mit den zur Nachbarklage Befugten nach dem heutigen deutschen Rechtsschutzsystem übereinstimmen. Hinzu treten betroffene Kommunen sowie nichtstaatliche Umweltorganisationen. Letztere müssen zur Überprüfung ihrer inhaltlichen und gemeinnützigen Ausrichtung auf den Umweltschutz sowie praktischer Tätigkeit auf diesem Feld eine Zulassung erhalten. Besonders bemerkenswert ist, dass auch Bürgerinitiativen mit Umweltschutzanliegen in den Kreis der Klageberechtigten einbezogen werden sollen. Um auch diese Gruppe erfassen zu können, sieht das Arbeitspapier neben den in Deutschland bereits üblichen Verbändeanerkennungen ein Alternativverfahren vor, in dem ein Kläger erst ad hoc, in unmittelbarem Zusammenhang mit seinem Rechtsschutzbegehren, seine Klageberechtigung zugesprochen bekommt. Für Nachbarklagen von Privatpersonen, bei denen die Klagebefugnis nicht selten die erste hohe Hürde bildet, ist diese Vorgehensweise in Deutschland bereits bekannt. Im Zusammenhang mit Bürgerinitiativen bedeutet es dagegen eine Neuerung, die den geplanten Klagemöglichkeiten ein Moment der Unkalkulierbarkeit verleihen; denn Bürgerinitiativen sind einerseits häufig durchsetzungsfähiger als Einzelpersonen, andererseits aber häufig Ad-hoc-Zusammenschlüsse, die sich schwieriger als Verbände in Diskussionsprozesse einbinden lassen.  

Die Europäische Kommission hat sich in dem 19-seitigen Arbeitsdokument eines der bedeutendsten umweltpolitischen Projekte der Gegenwart vorgenommen. Es wird im politischen Raum die Unterstützung aller Menschen und Organisationen benötigen, die am Umweltschutz interessiert sind. Die Lobbyarbeit derjenigen Gruppen, die von umweltrechtlichen Vollzugsdefiziten profitieren, wird dem Vorhaben in der Kommission und in den nationalen Regierungen sicherlich noch einige Steine in den Weg legen.