EG erlässt neue Richtlinie über
Umwelthaftung
Die Richtlinie des Europäischen
Parlaments und des Rates über Umwelthaftung zur
Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden hat nach
mehr als zweijähriger Beratung das Ende des
Europäischen Rechtssetzungsverfahrens erreicht. Die
im Vermittlungsausschuss von Parlament und Rat
ausgehandelte Fassung wurde am 30.
März 2004 durch den Rat der EG und am 31. März 2004
durch das Europaparlament angenommen.
Sie wird in wenigen Wochen in Kraft
treten. Der Text der Richtlinie ist zugänglich über
die Seite
http://europa.eu.int
die den Werdegang der Normen
darstellt und am Ende einen Link zur englischen und
deutschen Beschlussfassung enthält -
http://www2.europarl.eu.int
Mit dieser Richtlinie vollendet der
europäische Gesetzgeber einen der letzten
grundlegenden Bausteine des europäischen
Umweltrechts. Entgegen der Bedeutung von "Haftung"
im deutschen Recht geht es in der Richtlinie nicht
um privatrechtliche Schadensersatzansprüche, sondern
um die ordnungsrechtliche Verantwortlichkeit von
Personen und Unternehmen, die Umweltgüter gefährden
oder schädigen. Die zuständigen nationalen Behörden
müssen dafür sorgen, dass die drohende Gefahr eines
Umweltschadens vom Verantwortlichen vermieden wird
und nach dem Eintritt eines Umweltschadens Maßnahmen
zur Sanierung stattfinden. Durch die Ausrichtung auf
Maßnahmen der Gefahrenabwehr befasst sich die neue
Richtlinie deutlich stärker mit Fragen des Vollzugs
außerhalb von Genehmigungsverfahren als dies bislang
im europäischen Umweltrecht der Fall war.
Der für die Richtlinie zentrale
Begriff des " Umweltschadens " umfasst drei Aspekte:
a) eine Schädigung geschützter Arten
und natürlicher Lebensräume,
b) eine Schädigung der Gewässer und
c) eine Schädigung des Bodens.
Hinsichtlich des Gewässer- und
Bodenschutzes enthält die Richtlinie im Vergleich
zum geltenden deutschen Recht keine grundlegend
neuen Verpflichtungen. Der Gewässerschutz ist
allerdings ausdrücklich auf die "europäische
Dimension", d. h. auf die Bewahrung des
ökologischen, chemischen und mengenmäßigen Zustandes
nach den Zielen der Wasserrahmenrichtlinie
ausgerichtet. Der Bodenschutz ist im Vergleich zum
geltenden Bundes-Bodenschutzgesetz vergleichsweise
schwach ausgestaltet, weil die EG-Richtlinie nur
Stoffeinträge in den Boden erfasst, welche die
menschliche Gesundheit gefährden.
Aus deutscher Sicht besonders
interessant ist der generellen Schutz von Arten und
Lebensräumen, die in den Naturschutz-Richtlinien
79/409/EWG und 92/43/EWG genannt sind. Parallel zu
den Schutzmaßnahmen, die die Mitgliedstaaten gemäß
diesen älteren Richtlinien zu treffen haben, schafft
die neue Richtlinie eine eigenständige Pflicht,
gegen Gefährdungen für den günstigen
Erhaltungszustand eines Lebensraumtyps oder einer
Art einzuschreiten sowie bei eingetretenen Schäden
den Ausgangszustand wiederherzustellen. Damit wird
eine kausale Verknüpfung zwischen dem
verschlechterten Erhaltungszustand eines
Lebensraumtyps oder einer Art einerseits und einem
bestimmten beeinträchtigenden Verhalten andererseits
vorausgesetzt, die sich im Vollzug als ausgesprochen
schwierig erweisen dürfte.
Die "Haftung" gemäß der Richtlinie
trifft durchgängig den "Betreiber". Dieser ist
dadurch gekennzeichnet, dass er eine "berufliche
Tätigkeit ausübt", die zudem zum Kreis von näher
aufgelisteten Handlungen mit besonderen
Umweltrisiken gehören muss (Anhang III der
Richtlinie). Hier finden sich Tatbestände wie etwa
der Umgang mit Abfällen, die Ableitung gefährlicher
Stoffe in ein Gewässer oder der Umgang mit
Gefahrstoffen. Diese Beschränkung auf
"gefahrenträchtige Tätigkeiten" ist nur für
Schädigungen geschützter Arten und natürlicher
Lebensräume durchbrochen; hier reicht es, dass der
Betreiber vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat.
Aus der Sicht des Bodenschutzes ist
zu bemerken, dass die Richtlinie einen
Zustandsverantwortlichen nicht kennt. Allerdings
lässt Art. 16 eine Bestimmung zusätzlicher
Verantwortlicher durch das nationale Recht
ausdrücklich zu.
Die wesentlichen Pflichten des
Betreibers gemäß Art. 5 und 6 der Richtlinie ähneln
dem tradierten deutschen Polizeirecht: Bei einer
unmittelbaren Gefahr eines Umweltschadens hat der
Betreiber die erforderlichen Vermeidungsmaßnahmen zu
ergreifen; ist ein Umweltschaden eingetreten, so hat
er unverzüglich die zuständige Behörde zu
informieren und die erforderlichen
Sanierungsmaßnahmen durchzuführen. Die zentralen
Bestimmungen der Richtlinie sehen Informationsrechte
und Anordnungsbefugnisse der Behörden vor. Die
Sanierungsmaßnahmen hat der Betreiber zu planen und
vor ihrer Durchführung mit der Behörde abzustimmen.
Nach dem Wortlaut der Richtlinie ist
das Opportunitätsprinzip bei der Entscheidung, ob
die Behörde angesichts einer Gefahr oder eines
Schadens aktiv wird, erheblich eingeschränkt ("die
zuständige Behörde verlangt ..."). Mit dem
Grundkonzept, dass die Verpflichtungen des
Betreibers vom Staat auch durchzusetzen sind,
korrespondiert eine Regelung über die Kostentragung.
In Art. 8 Abs. 3 und 4 der Richtlinie sind die
Fälle, in denen der Betreiber die Kosten für
Vermeidungs- oder Sanierungsmaßnahmen nicht tragen
muss, abschließend aufgelistet. Die besonders
bedeutsamen Rechtfertigungsgründe - dass eine
Emission oder eine schädigende Handlung ausdrücklich
erlaubt war beziehungsweise ihre Konsequenzen nicht
vorhergesehen werden konnten - können die nationalen
Gesetzgeber nach ihrem Ermessen bei der Umsetzung
vorsehen oder auch nicht.
Die Regelungen über die Kostentragung
lassen besonders deutlich erkennen, dass es beim
Vollzug von Pflichten der Unternehmen zum
Umweltschutz auch um den Aspekt der
Chancengleichheit im Wettbewerb geht. Eine besondere
" Großzügigkeit " der Behörden gegenüber
Umweltverschmutzern bedeutet einen wirtschaftlichen
Wettbewerbsvorteil, der aus der Sicht des
Europarechts zunehmend weniger tolerabel ist.
Zur Verstärkung der behördlichen
Durchsetzungspflicht tragen auch die Art. 12 und 13
der Richtlinie bei. Hiernach erhalten betroffene
Personen und Umweltverbände ein einklagbares Recht,
von der zuständigen Behörde ein Tätigwerden
angesichts drohender Gefahren oder eingetretenen
Schäden zu fordern. Die hierdurch geschaffene
Verbandsklage ergänzt die Klagebefugnis nach der
EG-Richtlinie 2003/35/EG, die sich auf die Zulassung
von Vorhaben mit erheblichen Umweltauswirkungen
bezieht.
Zusammenfassend unterstreicht die
neue Richtlinie das umweltpolitische Ziel der
Europäischen Gemeinschaft, dass die materiellen
Anforderungen des Umweltrechts von den Verwaltungen
der Mitgliedstaaten auch konsequent umgesetzt werden
sollen, um Wettbewerbsverzerrungen durch einen
schwachen Vollzug zu vermeiden. Bei der Umsetzung in
Deutschland dürften die Einschränkung des
Opportunitätsprinzips, die Vollzugsfragen
hinsichtlich geschützter Arten und Lebensräume sowie
die Vorschriften zur Verbandsklage für vielfältige
Diskussionen sorgen.
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