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Verbandsklagerecht EG-weit eingeführt
- Richtlinie zur Öffentlichkeitsbeteiligung und Klagemöglichkeit in Umweltverfahren in Kraft getreten

Die Richtlinie 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten ist am 25. Juni 2003 im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften (Nr. L 156, S. 17) bekannt gemacht worden. Sie ist gemäß ihrem Artikel 7 an diesem Tage in Kraft getreten.

Die Richtlinie bildet einen zentralen Baustein für die Umsetzung des so genannten Aarhus-Übereinkommens, das 1998 unter dem Dach der UN-ECE abgeschlossen wurde. Der erste Themenbereich dieses Übereinkommens - der Zugang zu Informationen über die Umwelt - ist von der EG bereits mit der Überarbeitung der entsprechenden Richtlinie Anfang 2003 (RL 2003/4/EG v. 28.1.2003, ABl. EG Nr. L 41, S. 26) in das Europarecht transformiert worden. Die vorliegende Richtlinie behandelt die zwei weiteren Themenbereiche des Aarhus-Übereinkommens: die Öffentlichkeitsbeteiligung und die Klagemöglichkeit. 

Für diese Umsetzungsmaßnahmen nimmt sich die RL 2003/35/EG drei Regelungsfelder vor:
- die Änderung der UVP-Richtlinie (Art. 3),

- die Änderung der IVU-Richtlinie (Art. 4) und

- eigenständige Verfahrensvorgaben für bestimmte Pläne (Art. 2 Abs. 2 i.V.m. Anhang I).
Ausdrücklich unberührt bleiben die Bestimmungen der Richtlinie 2001/42/EG über die Plan-UVP und der Wasserrahmenrichtlinie 2000/60/EG (Art. 2 Abs. 5).

Die Änderungen der UVP- und der IVU-Richtlinie beginnen damit, dass - entsprechend dem Aarhus-Übereinkommen - "Nichtregierungsorganisationen, die sich für den Umweltschutz einsetzen und alle nach innerstaatlichem Recht geltenden Voraussetzungen erfüllen", als Teil der "betroffenen Öffentlichkeit" anzusehen sind (Art. 3 Nr. 1 und Art. 4 Nr. 1 Buchst. b) RL 2003/35/EG). 

An die Unterscheidung zwischen der allgemeinen Öffentlichkeit und der "betroffenen Öffentlichkeit" knüpft die Richtlinie im Weiteren an, wenn z.B. in Art. 6 Abs. 2 u. 3 UVP-RL künftig hinsichtlich der Informationspflichten differenziert wird: Die allgemeine Öffentlichkeit muss Angaben erhalten, die hauptsächlich über den formalen Rahmen des Verfahrens informieren (Genehmigungsantrag, Durchführung einer UVP, zuständige Behörde etc.), während für die betroffene Öffentlichkeit umfassend auch die Bewertungsgrundlagen zugänglich gemacht werden müssen. Allerdings bleibt die konkrete Ausgestaltung dieses Zugangs weitgehend den Mitgliedstaaten überlassen. 

Zugunsten der betroffenen Öffentlichkeit begründet die UVP-RL in der neuen Fassung einen Anspruch, sich "frühzeitig und in effektiver Weise an den umweltbezogenen Entscheidungsverfahren zu beteiligen ... und Stellung zu nehmen ..., wenn alle Optionen noch offen stehen".
Im Bereich der IVU-RL sieht der neu gefasste Art. 15 Abs. 1 die dort geregelten Ansprüche auf Verfahrensbeteiligung von vornherein nur zugunsten der betroffenen Öffentlichkeit vor.

Art. 9 Abs. 1 UVP-RL verlangt ausdrücklich, dass sich die Behörde bei ihrer Entscheidung über ein Projekt mit den von der betroffenen Öffentlichkeit vorgebrachten Bedenken und Meinungen auseinandergesetzt haben muss (ebenso Art. 15 Abs. 5 IVU-RL). 

Die Betonung der "betroffenen Öffentlichkeit" - zu der auch die anerkannten Umweltverbände gehören - ist also in der Neufassung der UVP-RL deutlich verstärkt worden.

Die bedeutendste Änderung, die die RL 2003/35/EG bewirkt, dürfte aber die Einfügung der Klagemöglichkeit in Art. 10a UVP-RL und Art. 15a IVU-RL darstellen. Auch diese gilt wieder zugunsten der betroffenen Öffentlichkeit, die aber zusätzlich - je nach dem nationalen Rechtsschutzsystem - ein ausreichendes Interesse haben oder eine Rechtsverletzung geltend machen muss. Für anerkannte NGO's ist ein ausreichendes Interesse bzw. ein subjektives Recht nach der neuen Richtlinie ohne Weiteres gegeben.
Bei den Vorschriften über die Klagemöglichkeit, über die im Normsetzungsverfahren intensiv gerungen wurde, hält sich der verabschiedete Richtlinientext besonders eng an den Wortlaut des Aarhus-Übereinkommens. Dies gilt auch für den Klagegegenstand: Die betroffene Öffentlichkeit kann "die materiellrechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen anfechten, für die die Bestimmungen dieser Richtlinie über die Öffentlichkeitsbeteiligung gelten" (Art. 10a UVP-RL, Art. 15a IVU-RL). 

Alle UVP-pflichtigen Projektzulassungen unterliegen also nach Umsetzung der Richtlinie die Verbandsklage.

Diese Vorgabe dürfte allerdings im Detail in Deutschland noch für einigen Diskussionsstoff sorgen. Es stellt sich z.B. die Frage, ob die Regel des § 46 VwVfG danach uneingeschränkt aufrecht erhalten werden kann oder die verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit künftig wieder mehr beachtet werden muss. Weiterhin stellt sich die Frage, wie umfassend das subjektive Recht eines Umweltverbandes gefasst werden muss und ob der Prüfungsumfang in einem Verbandsklageverfahren künftig ähnlich weit gesteckt ist wie bislang (nur) in den Fällen einer Enteignungs-Vorwirkung.

Es sind also gerade auf dem Feld der Klagebefugnisse nach der Grundsatzentscheidung, die die RL 2003/35/EG getroffen hat, noch einige Auseinandersetzungen über die nationalen Regelungen zu erwarten. 

Immerhin eröffnen die neuen Bestimmungen des Europarechts den Umweltverbänden aber Perspektiven, die über die bisherigen Klagemöglichkeiten gemäß § 61 BNatSchG und verschiedenen Landes-Naturschutzgesetzen deutlich hinausgehen. Nach Ablauf der zweijährigen Umsetzungsfrist muss es in Deutschland nicht nur eine Verbandsklage gegen zahlreiche Entscheidungen nach dem BImSchG geben; auch die Bebauungspläne, die zur Abwicklung der UVP-Pflicht dienen (Anhang I Nr. 18 UVPG) sind dann in die Klagemöglichkeit einzubeziehen.