Integrativer Umweltschutz
Anforderungen an Normsetzung und Vollzug
Bericht über die Tagung des Vereins
für Umweltrecht und der UVP-Gesellschaft am 4. und
5. Oktober 2001 in Bremen
Unter dem Titel
Integrativer Umweltschutz Anforderungen an
Normsetzung und Vollzug haben der Verein für
Umweltrecht e.V. und die UVP-Gesellschaft e.V. am 4.
und 5. Oktober 2001 eine interdisziplinär
ausgerichtete Tagung zur Umsetzung der
IVU-Richtlinie
und der UVP-Änderungsrichtlinie
durchgeführt. Das Thema erwies sich als
gleichermaßen praktisch relevant und systematisch
bedeutsam. Zudem war es von höchster Aktualität,
nachdem der deutsche Gesetzgeber mit der im
Umweltrecht leider schon zur beklagenswerten
Gewohnheit gewordenen Verspätung durch das Gesetz
zur Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie, der
IVU-Richtlinie und weiterer EG-Richtlinien zum
Umweltschutz vom 27. Juli 2001
seinen gemeinschaftsrechtlich begründeten
Umsetzungsverpflichtungen Rechnung getragen hatte.
Die Umsetzung dieses Artikelgesetzes in der
Vollzugspraxis und durch untergesetzliches
Regelwerk, aber auch mögliche Umsetzungsdefizite im
Vergleich zu den EG-rechtlichen Anforderungen
standen im Mittelpunkt der Tagung.
In
ihrer Begrüßungsrede trug die Bremer Senatorin für
Umwelt und Bau Christine Wischer die Erwartung vor,
die Tagung möge dazu beitragen, das nach dem
einstweilen gescheiterten Umweltgesetzbuch
verabschiedete Artikelgesetz zur praktischen
Anwendung zu bringen. Der integrierte Umweltschutz
mit dem vorrangigen Ziel der Vermeidung von
Umweltschäden könne auf dieser Basis systematischer
verwirklicht werden. Der produktionsintegrierte
Umweltschutz biete neben den ökologischen Vorteilen
auch Chancen zur Kostenminderung in Form von
Ressourcenersparnissen und Vermeidung von
Reinigungs- und Aufbereitungsaufwendungen.
Die Tagung war interdisziplinär ausgerichtet und bot
neben rechtswissenschaftlichen und rechtspolitischen
Vorträgen, die die kontroverse Debatte um die
angemessene Umsetzung der EG-rechtlichen Vorgaben
verdeutlichten und die Konsequenzen für die
bevorstehende untergesetzliche Regelsetzung erkennen
ließen, Beiträge aus ökonomischer, technischer und
ökosystemarer Sicht. Sie spiegelte mit diesem
disziplinenübergreifenden Zugriff den umfassenden
und ehrgeizigen Anspruch des für die aktuelle
Umweltpolitik grundlegenden integrativen
Umweltschutzes. Drei Arbeitsgruppen vermittelten
einen Eindruck davon, vor welche weitgehend noch
ungelösten Probleme die Entscheidungspraxis damit
gestellt wird.
A.
Integrierter Umweltschutz aus juristischer Sicht
RA Dr. iur.
Gerhard Feldhaus, Ministerialdirektor a.D., der
langjährig im Bundesumweltministerium für den
Immissionsschutz Verantwortung getragen hat, gab den
grundlegenden Überblick über die materiell- und
verfahrensrechtlichen Anforderungen nach dem neuen
integrierten Anlagenzulassungsrecht. Der Ausbau des
Anlagenzulassungsrechts zu einem integrierten
Umweltrecht sei im Rahmen des BImSchG vor allem
durch die integrative Erweiterung des
Gesetzeszweckes, der Grundpflichten in Verbindung
mit der Neudefinition des Standes der Technik, des
untergesetzlichen Regelwerks sowie des
Genehmigungsverfahrens erfolgt. Das Konzept des
integrativen Umweltschutzes ziele nicht darauf, alle
denkbaren Umweltauswirkungen gleichzeitig
bestmöglich zu vermeiden. In Abgrenzung zu den
getrennten Konzepten seien alle Umweltbereiche in
die Prüfung einzubeziehen und angemessen zu
berücksichtigen; integrierter Umweltschutz müsse
effektiv zu einer Verbesserung des Umweltschutzes im
Ganzen führen. Nicht ein umfassender maximaler
Umweltschutz sei gefordert, sondern ein optimaler,
der in einem komplexen Abwägungsvorgang zu ermitteln
sei. Die IVU-Richtlinie fordere Emissionsbegrenzung
nach den besten verfügbaren Techniken, es sei denn,
Umweltqualitätsnormen erforderten schärfere
Maßnahmen. Emissionsgrenzwerte seien im Vergleich
zum bisherigen Recht nicht nur technik-, sondern
auch schutzgutbezogen. Kern der Grundpflichten sei
die Verpflichtung, Vorsorge nach dem Stand der
Technik zu treffen. In prägnanter Weise unterschied
Feldhaus zwischen prozessorientierter technischer,
vor allem minderungstechnischer Optimierung und
medienübergreifender, die Umweltauswirkungen in
Betracht ziehender schutzgutbezogener Optimierung.
Erstere werde nach wie vor im Vordergrund stehen;
für sie gälten neue, auf Ressourcenschonung zielende
Parameter. Die für die IVU-Richtlinie grundlegende
Legaldefinition der besten verfügbaren Techniken
sei in der Umschreibung des für das deutsche
Immissionsschutzrecht auch weiterhin zentralen
Begriffs des Standes der Technik komplett
übernommen worden.
Während das integrierte Umweltrecht nach der
IVU-Richtlinie Abwägungsspielräume zur Optimierung
voraussetze, sei die Anlagengenehmigung nach § 6
BImSchG eine gebundene Erlaubnis. Fraglich sei, ob
der begrenzte Beurteilungsspielraum der
Genehmigungsbehörden für eine Optimierung ausreiche.
Das deutsche Umweltrecht habe die gesetzlichen
Grundpflichten bisher durch Rechtsverordnungen (RVO)
und Allgemeine Verwaltungsvorschriften (AVV)
konkretisiert. Diesen Weg eröffne das Artikelgesetz
auch für die integrierten Anforderungen, indem es
die Ermächtigungen zur Verabschiedung von RVO und
AVV für ein integriertes untergesetzliches Regelwerk
ausgebaut habe. Feldhaus begrüßte diesen Ansatz im
Interesse der Rechts- und Investitionssicherheit mit
Nachdruck. Das Verfahren zum Erlass von RVO und AVV
biete die Gewähr dafür, dass die notwendigen
Bewertungen und komplexen Abwägungen
wissenschaftlich fundiert und in breitem Konsens
vorgenommen würden. Wenn es auf der
Normsetzungsebene gelinge, das Integrationsgebot im
untergesetzlichen Regelwerk ausreichend umzusetzen,
sei das Problem der Optimierung innerhalb der
gebundenen Erlaubnis im Wesentlichen gelöst.
Das Artikelgesetz schreibe kein einheitliches
Genehmigungsverfahren vor, sondern belasse es bei
den Parallelverfahren. Die Zuständigkeiten seien
nicht auf eine Behörde konzentriert; es werde
lediglich eine vollständige Koordinierung der
Zulassungsverfahren sowie der Inhalts- und
Nebenbestimmungen vorgeschrieben. Es komme
insbesondere auf einen möglichst frühzeitigen und
ausreichenden Informationsaustausch sowie eine
frühzeitige Abstimmung der zu treffenden
Entscheidungen an.
Dr. iur. Klaus
Hansmann stellte die Bedeutung der untergesetzlichen
Normsetzung für den integrierten Umweltschutz
heraus. Während Ewringmann die Einzelfallabwägung
deutlich bevorzugt und besonders Entscheidungen
aufgrund generell-abstrakter Regelungen als
ineffizient attackiert hatte, strich Hansmann in
Übereinstimmung mit Feldhaus gerade die Bedeutung
untergesetzlicher Regelwerke für rational begründete
Entscheidungen im integrierten Umweltschutz heraus.
Die Abwägung der Umweltauswirkungen als Kern der
Integrationsarbeit könne entweder im Einzelfall
durch die Zulassungsbehörde oder auf einer
generellen Ebene durch einen Normgeber vorgenommen
werden. Bei der Umsetzung der IVU-Richtlinie habe
sich der Bundesgesetzgeber gegen den ersten Weg mit
der größeren Flexibilität und der Möglichkeit zur
Berücksichtigung der Besonderheiten von Einzelfällen
entschieden und die Integrationsaufgabe vorrangig
dem untergesetzlichen Normgeber übertragen. Diese
Umsetzungskonzeption sei mit den Vorgaben der
IVU-Richtlinie vereinbar. Diese erlaube in Art. 9
Abs. 8 ausdrücklich, Anforderungen auch in Form
allgemein bindender Vorschriften statt in
Genehmigungsauflagen festzulegen.
Im Falle fehlender genereller Konkretisierungen
könne dem Integrationsgebot der Richtlinie durch
Anwendung des integrativ definierten Standes der
Technik im Rahmen des Vorsorgegebotes entsprochen
werden. Das bestehende untergesetzliche Regelwerk
müsse freilich an die weitergehenden integrativen
Anforderungen der IVU-Richtlinie angepasst werden.
Bei der Konkretisierung der Vorsorgepflicht seien
dabei über die Emissionen hinaus alle maßgeblichen
Umweltauswirkungen einer Maßnahme zu prüfen und zu
bewerten. Die im Anhang IV zur IVU-Richtlinie und
entsprechend in den Anhängen zum BImSchG, zum WHG
und zum KrW-/AbfG genannten Kriterien zur Ermittlung
der besten verfügbaren Techniken bzw. des Standes
der Technik sowie die BREF-Dokumente
seien nur eine geringe Hilfe bei den umfassenden
Abwägungen, die in bundesrechtlichen Regelungen auf
einer möglichst breiten Erkenntnisgrundlage zu
treffen seien. Der Referentenentwurf für eine neue
TA Luft
behandle zwar nur die von einer Anlage ausgehenden
Luftverunreinigungen, könne später aber in eine
umfassende TA Umwelt übernommen werden. Sie enthalte
einen eigenen Abschnitt mit grundsätzlichen
Anforderungen zur integrierten Vermeidung und
Verminderung der Umweltverschmutzung. Die generell
einzuhaltenden Emissionswerte seien unter
Berücksichtigung aller Umweltauswirkungen abgeleitet
worden.
Prof. Dr. iur. Monika Böhm registrierte erhebliche
Umsetzungsdefizite des Artikelgesetzes. Schon
während der Beratungen des Artikelgesetzes sei der
Entwurf wiederholt als Minimallösung bezeichnet
worden. Dies lege zumindest den Anfangsverdacht
nahe, das im Rahmen einer bloß minimalen Umsetzung
der Richtlinien Umsetzungsdefizite bestehen könnten.
Das Schwergewicht der Umsetzung der
Integrationsanforderungen der IVU-Richtlinie liege
bei der
[4]
Allerdings gilt dies eingeschränkt in bezug auf
bestimmte Anforderungen für bestimmte Anlagen,
sofern dabei ein integriertes Konzept und ein
gleichwertiges hohes Schutzniveau für die Umwelt
gewährleistet werden.
[5]
Best available techniques reference documents.
Festlegung von Anforderungen durch
gesetzeskonkretisierende Regelwerke nach Maßgabe der
§§ 7 und 48 BImSchG. Für die Umsetzung
europarechtlicher Vorgaben seien nach der
Rechtsprechung des EuGH Verwaltungsvorschriften ohne
externe Verbindlichkeit ungeeignet. Die Festlegung
bestimmter Anforderungen für bestimmte Kategorien
von Anlagen in Form von allgemein bindenden
Vorschriften statt in Genehmigungsauflagen gemäß
Art. 9 Abs. 8 der IVU-Richtlinie könne demnach nur
in Form von Rechtsverordnungen erfolgen, die zudem
regelmäßig zu aktualisieren seien. § 48 BImSchG, der
die Bundesregierung zum Erlass von AVV ermächtigt,
sei für die Umsetzung nicht ausreichend. Ein
Umsetzungsdefizit liege auch vor, solange und soweit
integrative Festlegungen in RVO und AVV nicht
vorhanden seien. Ferner sei
gemeinschaftsrechtswidrig, dass § 8a BImSchG
weiterhin unter bestimmten Voraussetzungen den
vorzeitigen Beginn zur Errichtung einer Anlage ohne
eine Beteiligung der Öffentlichkeit zulasse. Auch
die Verkürzung der Öffentlichkeitsbeteiligung im
Rahmen der Erteilung einer Änderungsgenehmigung bei
Vorliegen gewisser Bedingungen nach § 16 Abs. 2
BImSchG sei mit dem Gemeinschaftsrecht nicht zu
vereinbaren. Soweit im WHG die Hauptlast der
Umsetzung im wesentlichen den Ländern überlassen
werde, sei die IVU-Richtlinie erst nach
Verabschiedung aller erforderlichen Landesregelungen
umgesetzt.
Feldhaus und Hansmann widersprachen entschieden der
Aussage, AVV seien keine hinreichende Umsetzung der
IVU-Richlinie. Feldhaus sah AVV als idealen Weg der
Umsetzung an. Sie seien allerdings keine bindenden
Vorschriften im Sinne des Art.9 Abs. 8 der
IVU-Richtlinie, als solche kämen nur Gesetze und RVO
in Betracht. AVV wie die Regeln der TA Luft ließen
den lokalen Behörden die von der IVU-Richtlinie
geforderten Spielräume. Sie entlasteten und
unterstützten die dezentral getroffenen
Einzelfallentscheidungen lediglich durch
verwaltungsinterne Vorgaben darüber, was in der
Regel als beste verfügbare Technik einzustufen sei.
Hansmann sah selbst das Fehlen untergesetzlicher
Normen nicht als Umsetzungsdefizit an, da in in
diesem Fall § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG im Bereich der
Vorsorge direkt anwendbar sei und durch den darin
enthaltenen Verweis auf den jetzt integrativ
definierten Stand der Technik bereits eine
vollständige Umsetzung vorliege. Es dürfte zumindest
ungewiss sein, ob der EuGH davon zu überzeugen ist,
dass dieser deutsche Sonderweg den Erfordernissen
einer effektiven, ausdrücklichen und
rechtsverbindlichen Umsetzung einer Richtlinie
genügt. In ihrer Entgegnung verwies Böhm auf die
erwiesene große Veränderungsresistenz der TA Luft.
Dr. iur. Ekkehard Hofmann widmete sich anhand der
Planfeststellung eingehend den bereits in etlichen
Referaten beschworenen Abwägungen. Der Begriff der
Abwägung werde üblicherweise für
Entscheidungssituationen benutzt, in denen sich Vor-
und Nachteile einer Maßnahme oder eines Vorhabens
gegenüberstünden. Er lasse sich jedoch auch auf die
im Rahmen des integrierten Umweltschutzes
erforderlichen Erwägungen anwenden, wo es darum
gehe, für den Bereich des Umweltschutzes die
Gesamtheit der verschiedenen Belastungen zu
minimieren. Hofmann erläuterte an dem
vereinfachenden Beispiel, dass ein bestimmtes
Vorhaben nur einen Vorteil (Schaffung von
Arbeitsplätzen) und einen Nachteil (Zerstörung eines
Biotops mit der Folge der Reduzierung der Anzahl der
Löffelenten) hat, methodologisch genau, was eine
Behörde wissen muss, bevor sie eine abwägende
Entscheidung treffen kann. Im Ausgangsbeispiel sei
festzulegen, wie viel der Wert eines Arbeitsplatzes,
gemessen in Löffelenten, betrage. Dieser Vorgang sei
unausweichlich, denn er ermögliche den
entscheidungsbezogenen Vergleich unterschiedlicher
Qualitäten. Das gelte auch in den in der
Entscheidungspraxis eindeutig überwiegenden Fällen,
in denen mehr als zwei Belange betroffen seien. Eine
Abwägung setze voraus, dass es eine
Verrechnungseinheit zum Vergleich unterschiedlicher
Qualitäten gebe. Angesichts der Unvermeidlichkeit
von Bewertungen sei die in der Entscheidung zugrunde
gelegte Bedeutung von Gütern in Zahlen auszudrücken;
hierbei sei nicht die absolute Größe der Zahlen von
Bedeutung, sondern ihr relatives Gewicht zueinander.
Das VwVfG verpflichte die Behörden zur Offenlegung
der Bewertungen, wenn es verlange, dass die
wesentlichen Gründe von Entscheidungen mitgeteilt
würden. Eine nachvollziehbare Explizierung der
Bewertungen könne nur mit Hilfe von Zahlen wirklich
gelingen. Die praktisch sehr bedeutsamen
Bewertungsunsicherheiten ließen sich nicht dadurch
vermeiden, dass man die getroffene Bewertung nicht
numerisch expliziere. Den möglichen Einwand, die
Verwendung von Zahlen sei bloß scheinrational, wies
er mit zwei Überlegungen zurück. Wenn die Begründung
einer Entscheidung numerisch belegt werde, trete das
unvermeidbar willkürliche Element bei der Bewertung
von Gütern deutlicher zu Tage. Die numerische
Darstellung der getroffenen Bewertungen verbessere
nicht die Legitimation einer Entscheidung, sondern
erhöhe lediglich die Transparenz der Begründung und
ermögliche eine nachvollziehbare Aggregation der
Belange. Von besonderer Bedeutung sei der numerische
Ausdruck der Bewertungen für die auf die Begründung
von Ermessensentscheidungen zielende gerichtliche
Kontrolle, wenn drei oder mehr Belange berührt seien
und das Gericht dann die Verhältnisse unter den
Gütern nicht mehr aus dem Tenor der Entscheidung
zusammen mit der Angabe der Quantitäten schließen
könne.
Der provokativ
vorgetragene Beitrag löste eine lebhafte und
überwiegend kritische Debatte aus. Die meisten
Einwände lassen sich dahingehend zusammenfassen, in
Abwägungen sei eine ausführliche Bewertung in
natürlicher Sprache unumgänglich, um gerade die
individuellen Eigenarten der betroffenen Belange
angemessen zu würdigen. Das gelte gerade auch für
die integrative Berücksichtigung aller im Einzelfall
maßgeblichen Umweltbelange. Unterstützung erhielt
Hofmann vor allem durch den Ökonomen Ewringmann, der
durch die Verwendung eines Numeraire die logischen
Strukturen von Abwägungen aufgedeckt sah und im
übrigen auf die Parallelen zur Praxis der
Kosten-Nutzen-Analysen hinwies.
B. Integrierter
Umweltschutz aus ökonomischer Sicht
Dr. Dieter Ewringmann übte aus ökonomischer Sicht,
d.h. unter dem Gesichtspunkt der Effizienz, zum Teil
heftige Kritik am integrierten Zulassungsverfahren.
Zwar sei die von Art. 7 der IVU-Richtlinie
geforderte vollständige Koordinierung von
Genehmigungsverfahren und -auflagen ökonomisch
sinnvoll. Auch sei es sinnvoll, dass die
IVU-Richtlinie mit der Begrenzung auf den
Anlagenbetrieb und der Ausblendung eines Teils der
Umwelteffekte und der Nutzungsentscheidungen keinen
vergleichbar umfassenden Integrationsanspruch erhebe
wie etwa die in der Praxis nicht anwendbaren
ökonomischen Idealmodelle von Pigou und Coase, die
über den Hebel der Monetarisierung eine allgemeine
Vergleichsmöglichkeit und eine Rückkopplung auf die
individuellen Präferenzen und Restriktionen
erlaubten. Bei Maßnahmen des integrierten
Umweltschutzes sei individuellen Anpassungsprozessen
aufgrund ihrer Flexibilität aus
Effizienzgesichtspunkten grundsätzlich Vorrang
einzuräumen. Effizienz erfordere die
Berücksichtigung der jeweils verschiedenen
Ausgangslagen sowie der Ziele und Präferenzen von
[7]
Das gilt übrigens auch für die kontroverse
Beurteilung des Nutzens der
Kosten-Nutzen-Analysen.
Anlagenbetreibern; dem
werde nur eine Einzelfallentscheidung im konkreten
Kontext gerecht. Das zentrale Problem bestehe darin,
dass nach der IVU-Richtlinie und vor allem nach dem
deutschen Artikelgesetz Rationalität und Effizienz
der Umwelt- und Ressourcennutzung ausschließlich
über Verwaltungsentscheidungen, und zwar meist über
generell-abstrakte Vorgaben, gewährleistet werden
sollten. Die IVU-Richtlinie setze ausschließlich auf
eine von verschiedenen Optionen, die Umwelt
integriert zu schützen, nämlich auf ein
administratives Genehmigungsverfahren mit
Emissions-Grenzwertsetzungen. Damit würden alle
Abwägungsprozeduren und die damit verbundenen
Informationsbedürfnisse auf den
politisch-administrativen Sektor konzentriert. Die
integrativen Pfade müssten vorausbestimmt werden,
und individuelle Innovationen müssten sich daran
messen lassen. Preissignale und andere
Bewirtschaftungsinstrumente wie der vorgeschlagene
CO2-Lizenzhandel
würden damit praktisch von vornherein ausgeschlossen
bzw. zur Wirkungslosigkeit verdammt. Wenn mit
generell-abstrakten Vorgaben für den einzelnen
Genehmigungsprozess Ernst gemacht werde, nähere man
sich einer allgemeinen Vorgabe einer ganz bestimmten
Produktionsfunktion. Die BREF-Dokumente trügen zwar
zu einer stärkeren Diffusion von vorhandenen
technischen Anlagetypen bei, behinderten aber
Innovationen. Das Artikelgesetz behalte den
traditionellen deutschen Weg der gebundenen
Genehmigung mit Genehmigungsanspruch und zentraler
bzw. generell-abstrakter Festlegung der
Genehmigungsanforderungen bei und stehe damit im
Widerspruch zur Perspektive der IVU-Richtlinie, die
auf individuell-konkrete Genehmigungsverfahren mit
Ermessensspielräumen für die lokal zuständigen
Behörden setze. Generell-abstrakte Regelungen
könnten keine Effizienz garantieren; diese erfordere
die Berücksichtigung der jeweils unterschiedlichen
Ausgangsbedingungen, Optionen, Ziele und
Präferenzen. Die hohen
Entscheidungsvorbereitungskosten für
Einzelfallgenehmigungen könnten durch Rückgriff auf
die im Sevilla-Prozess
erarbeiteten Informationen gemindert werden.
C. Integrierter
Umweltschutz aus technischer und ökosystemarer Sicht
Prof. Dr.-Ing.
Wilfried Kühling behandelte das Konzept des
integrierten Umweltschutzes aus technischer Sicht.
Das Ziel der integrierten Vermeidung und
Verminderung schädlicher Umwelteinwirkungen, um ein
hohes Schutzniveau für die Umwelt insgesamt zu
erreichen, erfordere einen ganzheitlichen,
systematischen Betrachtungsansatz, der Emissionen
und Immissionen umfasse und von einem hohen
Umweltschutz ausgehe, sowie eine neue Definition der
Umweltqualität, die
[8]
Vgl. Vorschlag für eine Richtlinie des
Europäischen Parlaments und des Rates über ein
System für den Handel mit
Treibhausgasemissionsberechtigungen in der
Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie
96/61/EG des Rates, KOM (2001) 581 endg. v.
23.10.2001.
[9]
Nach Art. 16 Abs. 2 der IVU-Richtlinie führt die
Kommission einen Informationsaustausch zwischen
den Mitgliedstaaten und der betroffenen
Industrie über die besten verfügbaren Techniken,
die damit verbundenen Überwachungsmaßnahmen und
die Entwicklungen auf diesem Gebiet durch.
Dieser wird vom IPPC-Büro am Institute for
Prospective Technological Studies in Sevilla
koordiniert. Bis Ende 2004 sollen BREF-Dokumente
für 26 Anlagekategorien und 6
Querschnittsaspekte erarbeitet werden. Am Ende
des Jahres 2001 lagen 10 BREF-Dokumente vor.
Detaillierte Angaben und die einschlägigen
Dokumente finden sich unter
http://www.eippcb.jrc.es/pages/BActivities.htm.
über den eingeführten immissionsschutzrechtlichen
Standard hinausgehe, und beinhalte ein
Verbesserungsgebot. Ein ganzheitlicher Arbeitsansatz
habe folgende Aspekte einzubeziehen: die mit der
Technikauswahl verbundenen Umweltwirkungen,
intermediale Umweltwirkungen unter Einschluss
konkreter Belastungs- und Wirkungspfade,
summatorische, zeitlich versetzte und zeitlich
akkumulierende Wirkungen, Standortbedingungen und
regionale Unterschiede von Empfindlichkeiten,
komplette Produktionsabläufe (Gewinnung der
Rohstoffe, Herstellung der Vorprodukte, Produktion,
Gebrauch, Entsorgung, Transportprozesse) sowie
Arbeitsabläufe und Verhalten von Personen.
Vergleichbar ehrgeizige Anforderungen an den
integrierter Umweltschutz stellte Dr.-Ing. Christian
Hildmann aus ökosystemarer Sicht; dabei lenkte er
die Aufmerksamkeit besonders auf die
Funktionsfähigkeit der Landschaft. Die Gesellschaft
sei von der Funktionsfähigkeit der durch den
Lebensprozess der Ökosysteme umgestalteten
Landschaft abhängig (ausgeglichener Wasserhaushalt,
erträgliches Klima, sauberes Trinkwasser,
fruchtbarer Boden, gesunde Nahrungsmittel). Eine
nicht angepasste Bewirtschaftung und zahlreiche
Eingriffe reduzierten die Funktionsfähigkeit der
Landschaft und stellten sie schließlich ganz in
Frage. Für eine dauerhafte Bewirtschaftung der
Landschaft sei eine erneute Kopplung der
unterbrochenen natürlichen Austauschprozesse
erforderlich. Über die Entwicklungsrichtung
gestörter Ökosysteme seien meist klare Aussagen
möglich. Dagegen könne aufgrund der nichtlinearen
Zusammenhänge und Wechselwirkungen der jeweilige
Zustand eines Ökosystems und der Beitrag von
Einzelereignissen nicht sicher vorausgesagt werden;
rasche Änderungen eines Systemzustandes seien nicht
auszuschließen. Deshalb sei eine Minimierung, nicht
nur eine Reduzierung von Emissionen und Eingriffen
in die Umwelt anzustreben. Richtig gesetzte
Rahmenbedingungen wie eine lineare Energiesteuer und
eine progressive Bodenwertsteuer könnten dazu
beitragen, dass sich die moderne Gesellschaft
symbiotisch in den Naturhaushalt einfüge.
D. Integrierter
Umweltschutz in der Entscheidungspraxis
Der Schwerpunkt des zweiten Veranstaltungstages lag
auf drei parallelen Arbeitsgruppen, die sich jeweils
Aspekten der praktischen Verfahrensabläufe zur
Verwirklichung des integrierten Umweltschutzes
widmeten und versuchten, die immissionsschutz-,
wasser- und naturschutzrechtlichen Anforderungen und
die unterschiedlichen Interessen von Betreibern,
Umweltschutzverbänden, Nachbarn, Wissenschaft und
Verwaltung zu berücksichtigen.
Die erste Arbeitsgruppe zur Änderungsgenehmigung für
eine emittierende Anlage zeigte anhand eines von
Dipl.-Ing. Klaus Runte moderierten
Erörterungstermins die Komplexität von
Genehmigungsentscheidungen bezüglich größerer
Industrieanlagen. Im konkreten Fall hatte ein nicht
der UVP-Pflicht unterliegendes Spanplattenwerk die
Genehmigung eines neuen mit Holzabfällen zu
befeuernden UVP-pflichtigen Kraftwerkes beantragt,
um die emissionsintensive Trocknungsphase auf ein
umweltschonenderes Verfahren umzustellen. Die
Prüfung der UVP-Pflicht ergab, dass eine Kumulation
der Emissionen von Spanplattenwerk und Kraftwerk
nicht vorzunehmen war, weil es sich nicht um
gleichartige Anlagen handelte. Als inhaltlich
schwierig erwies sich die Bewertung der Verminderung
der Emission organischer Stoffe im Bereich der
Spanplattentrocknung einerseits und der zusätzlichen
CO2-Emissionen durch das geplante
holzbetriebene Kraftwerk andererseits. Mit dem
Vorschlag einer weiteren Optimierungsmöglichkeit der
indirekten Trocknung durch End-of-pipe-Technologien
ergaben sich wegen der damit verbundenen
Kostensteigerung zusätzliche Aspekte für die
Abwägung der Verhältnismäßigkeit.
Die zweite
Arbeitsgruppe behandelte anhand von drei
Kurzreferaten aktuelle Aspekte der Genehmigung von
Windkraftanlagen. Dr.-Ing. Knud Rehfeldt gab einen
Überblick über die Entwicklung der
Windenergienutzung in Deutschland unter
Berücksichtigung der gesetzgeberischen
Rahmenbedingungen. Trotz der nach der Verabschiedung
des EEG
günstigen Rechtslage sei in den nächsten Jahren mit
einer Abflachung des Ausbaus von Windenergieanlagen
auf dem Festland zu rechnen, weil geeignete
Standorte allmählich knapp würden. Ehrgeizige
Entwicklungspläne würden aber mit Unterstützung der
Bundesministerien für Umwelt und Wirtschaft für den
Offshore-Bereich vorangetrieben,
wenngleich dort erhebliche technische
Herausforderungen zu lösen seien und die
Standortsuche Schwierigkeiten bereite. Peter
Kersandt stellte die Rechtslage für die Genehmigung
von Offshore-Windenergieanlagen außerhalb des
12-Seemeilen-Hoheitsgebietes der Bundesrepublik
Deutschland nach Völker-, Europa- und nationalem
Recht dar.
Das UN-Seerechtsübereinkommen von 1982
begründe exklusive Nutzungsrechte der
Anliegerstaaten in der ausschließlichen
Wirtschaftszone (AWZ), die ihrem Hoheitsgebiet
vorgelagert ist. Es begründe wie auch weitere
internationale Übereinkommen sowie die FFH- und die
Vogelschutzrichtlinie der EG besondere
Schutzpflichten für die AWZ. Das Genehmigungsrecht
der Seeanlagen-Verordnung
für Anlagen in der AWZ sei für die nötigen
planerischen Entscheidungen nur unzureichend
gerüstet. Deswegen sei es wünschenswert, dass ein AWZ-Gesetz
des Bundes das Verhältnis von völkerrechtlichen,
europarechtlichen und nationalen Planungsvorgaben
kläre. RA Dr. Jörg Niedersberg stellte schließlich
die Genehmigungsanforderungen für Windkraftanlagen
nach Inkrafttreten des Artikelgesetzes unter
besonderer Berücksichtigung des Integrationsprinzips
dar.
Die dritte Arbeitsgruppe befasste sich mit Problemen
bei der Planfeststellung einer Wasserkraftanlage.
Wasserkraftanlagen fallen gemäß Anhang I nicht in
den Anwendungsbereich der IVU-Richtlinie; sie
unterliegen in Deutschland dem Landesrecht. Im
konkreten Fall war die Errichtung trotz Ausnutzung
der natürlichen Wasserstufe des Weserwehr mit
Eingriffen in Natur und Landschaft verbunden, die
nach dem Naturschutzrecht eine Kompensation
erfordern. Mithin ging es um die Abwägung zwischen
nachhaltiger Energieerzeugung und dem Beitrag von
Wasserkraftanlagen zum Klimaschutz einerseits und
der Beeinträchtigung
[10]
Gesetz für den Vorrang Erneuerbarer Energien v.
29.3.2000, BGBl. I S. 305.
[11]
Die Bundesregierung plant derzeit, im Jahr 2010
bereits 15 % des nationalen Stromverbrauchs
durch Offshore-Anlagen bereitstellen zu können.
Vgl. das im Juni 2001 unter dem Titel
Windenergienutzung auf See vorgelegte
Positionspapier des Bundesumweltministeriums zur
Windenergienutzung im Offshore-Bereich. Es ist
auch unter
http://www.bmu.de/fset800.php zu
finden.
[13]
Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen v.
10.12.1982, BGBl. 1994, II S. 1798.
[14]
Verordnung über Anlagen seewärts der Begrenzung
des deutschen Küstenmeeres v. 23.1.1997, BGBl. I
S. 57.
bestimmter Belange des Naturschutzes durch
Wasserkraftanlagen andererseits. Als unbefriedigend
stellte sich heraus, dass der positive Beitrag einer
Wasserkraftanlage zum Klimaschutz im Rahmen der
naturschutzrechtlichen Bewertung keine Rolle spielt.
Derzeit fehlen rechtliche Instrumente für eine
derartige Gesamtbewertung. Wünschenswert seien
Vorgaben für ein integratives Konzept, die Zielwerte
für regenerative Effekte festlegen, um unter
Berücksichtigung des Energienutzens des
Wasserkraftwerks festlegen zu können, ob der
anzunehmende Beitrag zur Klimaentlastung Eingriffe
in den Naturschutz rechtfertige.
E.
Resümee und Ausblick
Die sehr anregungsreiche Tagung hätte zeitlich kaum
besser platziert sein können. Die Umsetzung der
IVU-Richtlinie in das nationale deutsche Recht hat
nach der (einstweiligen?) Aufgabe der Arbeiten an
der Verabschiedung eines Umweltgesetzbuches mit dem
Artikelgesetz ein wichtiges Etappenziel erreicht,
wenngleich Zweifel bleiben, ob damit den
Anforderungen des Gemeinschaftsrechts hinreichend
Rechnung getragen wurde. Die den Bundesländern
übertragene Umsetzung im Bereich des Wasserrechts
steht noch aus. Die Überarbeitung des
untergesetzlichen Regelwerkes, das in der deutschen
Umsetzungskonzeption zur Steuerung des Handelns der
Zulassungsbehörden, aber auch der Anlagenbetreiber
von zentraler Bedeutung ist, haben erst begonnen.
Wie im gesetzgeberischen Bereich weist auch hier der
Bereich der Luftreinhaltung gegenüber der
Wasserreinhaltung und der Abfallbehandlung einen
Vorsprung auf. Eine die einzelnen Umweltmedien
verknüpfende TA Umwelt ist bisher eine bloße
Wunschvorstellung ohne wahrnehmbare
Realisierungsschritte. Bis zu einem wirksamen
Vollzug des integrativen Umweltschutzes in der
behördlichen Entscheidungspraxis sind noch viele
konzeptionelle und rechtstechnische Fragen zu lösen.
Ihre Bearbeitung bedarf der aufmerksamen und
aufgeschlossenen Kooperation von Juristen,
Technikern, Ökologen und Naturwissenschaftlern sowie
Ökonomen.
Es
dürfte eine reizvolle Aufgabe sein, in fünf Jahren
im Rahmen einer ähnlich interdisziplinär
ausgerichteten Tagung die Erfahrungen in der
behördlichen Vollzugspraxis, bei der Erstellung und
Fortschreibung untergesetzlicher Regelwerke und beim
Rückgriff auf die im Sevilla-Prozess erstellten
BREF-Dokumente auszutauschen.
Josef Falke
PD Dr. Josef Falke
Zentrum für Europäische Rechtspolitik an der
Universität Bremen; Universitätsallee, GW 1, 28359
Bremen;
jfalke@zerp.uni-bremen.de.
Tätigkeitsschwerpunkte: Europarecht,
Welthandelsrecht, Umwelt-, Arbeits- und
Verbraucherrecht, Technikrecht, Rechtssoziologie.
Aktuelle Veröffentlichungen: Josef Falke,
Rechtliche Aspekte der technischen Normung in der
Bundesrepublik Deutschland, Luxemburg 2000; Josef
Falke, Harm Schepel (eds.), Legal Aspects of
Standardisation in the Member States of the EC and
the EFTA.
Country Reports, Luxemburg 2000;
Harm Schepel, Josef Falke, Legal Aspects of
Standardisation in the Member States of the EC and
the EFTA.
Comparative Report, Luxemburg 2000.
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